RE – the first (gay) pride was a riot
Queer feiern gehen? Heiraten? Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit austauschen? Kinder adoptieren? – In der Theorie scheint das heute alles kein Problem mehr zu sein. Doch noch vor wenigen Jahren sah das ganz anders aus.
In Deutschland war Homosexualität unter Männern bis zum Jahr 1969 gesetzlich verboten. Unter dem Paragraphen 175 StGB wurden 50.000 Männer wegen homosexueller Handlungen verurteilt – teilweise sogar zu mehreren Jahren Gefängnis. Erst 1994 wurde Paragraph 175 vollständig abgeschafft und das Schutzalter auf das bei Heterosexuellen angeglichen. Lesbische Frauen*, Bisexuelle*- oder gar Trans*-Personen waren unsichtbar und deren Existenz in der Gesellschaft geradezu geleugnet.
In den USA der 50er und 60er Jahre litten queere Menschen immer wieder unter gewalttätigen Razzien der Polizei in queeren Bars und Clubs. Teilweise gaben sich Polizisten* sogar als Lockvögel aus, um schwule Männer* auf frischer Tat zu ertappen und sie danach wegen Prostitution zu belangen.
Ein Wendepunkt war die Nacht des 28. Juni 1969 in der Christopher Street in New York. In dieser Nacht taten sich erstmals Schwule, Lesben und Trans*-Personen zusammen, um sich gegen die gewalttätigen Razzien im Stonewall Inn zu Wehr zu setzen. Es folgten mehrtägige Straßenschlachten mit der Polizei und legte den Grundstein queerer Bewegungen weltweit.
Mit stolzen, friedlichen und bunten Demonstrationen gedenken sie seither nicht nur der Menschen der Christopher Street, sondern all jenen, die sich – teilweise unter Einsatz des eigenen Lebens – für queere Belange einsetz(t)en. Zudem kämpfen sie gemeinsam für Sichtbarkeit, mehr Akzeptanz und eine vollständige gesellschaftliche und rechtliche Gleichberechtigung von LSBTIQA* (Lesben, Schwule, Bi*, Trans*, Inter*, Queeren, A_sexuellen und Anderen).
In Berlin und Bremen fanden 1979, zehn Jahre nach New York, die ersten Christopher Street Days statt. Doch schon Anfang des 20. Jahrhunderts setzten sich in Deutschland Menschen wie der Arzt und Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld oder die Schriftstellerin Johanna Elberskirchen für die Rechte homosexueller Menschen ein. Leider wurde diese erste Homosexuellen-Bewegung in Deutschland in den 1930er Jahren von den Nazis unterdrückt. Verfolgung, Verschleppung in Konzentrationslager und die Markierung mit dem Rosa Winkel waren die Folge.
Jede Generation trägt das Erbe der vorigen Generationen auf ihren Schultern. Wir knüpfen an die Anstrengungen von diesen Generationen an, wenn wir uns am 23.06.2018 versammeln, um der Opfern der Kämpfe und Aktivist*innen zu gedenken und ihnen für ihre Kämpfe danken. Ohne diese mutigen Menschen wäre ein Kuss in der Öffentlichkeit, eine gleichgeschlechtliche Heirat oder gar eine Änderung des Personenstands wohl kaum denkbar.
* – Auch hinter deinem Namen könnte ein Stern sein
Das Sternchen * steht für den Kampf in Vielfalt. Beim CSD geht es nicht nur um die Rechte und Aufmerksamkeit für einzelne Gruppen, sondern der ganzen LSBTIQA*-Community und ihrer vielen marginalisierten Gruppen und Facetten.
Bereits bei den Aufständen 1969 in New York gingen Lesben, Schwule, Trans* und Drags gemeinsam auf die Straße, sodass auch der CSD Freiburg alle Menschen zusammenführen will und eine Plattform sein soll, sexuelle Minderheiten und Identitäten sichtbar zu machen und für ihre Rechte einzustehen.
Trotz der jahrzehntelangen Kämpfe ist die Hemmschwelle für Homo-, Bi*-, Inter*- und Trans*feindliche Äußerungen und Sexismus sehr niedrig und scheint mit den jüngsten gesellschaftlichen Entwicklungen weiter zu sinken. Parallel dazu existieren in der eigenen Community eine Normdiktatur und Stigmatisierungen, die es zu bekämpfen gilt. Es gibt nicht nur die maskuline Lesbe, den tuntigen Schwulen, die polygame Bi*person oder die operierte Trans*person.
Einschränkungen oder Diskriminierungen betreffen uns alle. Lasst uns zusammenstehen, denn nur gemeinsam sind wir im Kampf um Sichtbarkeit und Anerkennung stark!
ACT – Aktivismus heißt nicht nur dabei sein, sondern aktiv sein
Aktivismus hat viele Gesichter. Zum CSD Freiburg gehören genauso politische Forderungen mit Parolen und Transparenten wie eine bunte Parade mit Technomusik, die maßgeblich in der queeren Bewegung entstanden ist.
Aber unser Aktivismus besteht nicht nur aus einer bunten Parade einmal im Jahr. Aktivismus ist für uns mehr als eine laute Party durch die Straßen Freiburgs. Vielmehr stellt der CSD für die Menschen und vielfältigen Gruppen, die unsere Community repräsentieren, einen Höhepunkt im Jahr dar. Denn das ganze Jahr lang setzen sich Gruppen für die Belange unserer Community ein. Dabei fehlt es vielen Gruppen an Mitglieder*innen, da für viele der Aktivismus nach einer Party endet.
Aber unser Kampf endet nicht nach der Parade des Christopher Street Days!
Unsere Privilegien und Rechte, die wir heute genießen, sind noch lange nicht in der Gesellschaft angekommen. Gerade wenn heute rechtspopulistische Parteien und Gruppierungen viel Zuspruch ernten, ist es wichtiger denn je zusammen zu stehen und sich weiterhin für unsere Rechte einzusetzen.
Lasst uns reagieren und lauter sein als sie!
REACT – queer existance is queer resistance
Im letzten Jahr hat sich augenscheinlich viel für uns getan: Die Ehe wurde für “alle” Menschen geöffnet. Mit Entschädigungszahlungen für Männer, die nach dem “schwulen Paragraphen” verurteilt wurden, wurde eine weitere von unseren langjähirgen Forderungen erfüllt. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im November wird ein dritter positiver Geschlechtseintrag Realität werden. Nach vielen düsteren Jahren gelangte Deutschland im Ranking der ILGA, des weltweiten Dachverbands für LSBTIQA*-Rechte, zuletzt in der Top Ten der tolerantesten EU-Länder.
Andererseits gibt viel Schatten: Mit allen Mitteln wurde versucht, die Entscheidung zur Eheöffnung noch zu verhindern und danach juristisch dagegen vorzugehen. In einem der tolerantesten Länder Europas sitzen Menschen in der Regierung, die nicht nur versuchen wichtige Meilensteine der Gleichberechtigung einzureißen, sondern auch nicht einmal davor zurückschrecken die sogenannte Homolobby zu diffamieren – und das öffentlich. Was scheinbar auch zahlreiche Menschen aus unserer Community nicht störte: 12 % der Gayromeonutzer* gaben bei einer Umfrage an, dass sie die queerfeindliche Partei Alternative für Deutschland wählen würden. Tatsächlich zog genau diese Partei, die Frauen am liebsten am Herd sähe, die queere Menschen als „degenerierte Spezies“ bezeichnet und für die eine richtige Familie lediglich aus Mann, Frau und Kind besteht, mit 12,6 % in den deutschen Bundestag ein.
Genauso äußert sich auch die prekäre politische Situation, wenn Bayerns Justizminister weder die Rehabilitierung noch die Entschädigung von den §175-Verurteilten zusprechen will, wobei es sich bei einer Summe von 3000 € – und das auch nur im Falle einer Verurteilung – eher um eine symbolischen Entschädigung handeln kann. Der scheinbare Sieg von der „Ehe für alle“ ist ebenfalls nicht uneingeschränkt, da Gruppen der Community nicht berücksichtigt wurden und Änderungen im Familienrecht noch ausstehen1. Ebenso birgt die Einführung des dritten Geschlechts weitere Diskriminierung für intergeschlechtliche Menschen, wenn sie von der Heirat gänzlich ausgeschlossen werden. In Parlamenten, im öffentlichen Diskurs und im Alltag sind sexistische, homo-, bi+feindliche und trans*feindliche Äußerungen und Handlungen in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Diesen Bewegungen und Ambivalenzen dürfen wir nicht den Raum und die öffentliche Meinung überlassen. Lasst uns diesem Treiben nicht einfach zuschauen! Gerade jetzt müssen wir auf Vorwürfe reagieren! Es ist unhaltbar, dass wir belächelt oder als Homolobby diffamiert werden, wenn wir uns für queere Belange einsetzen! Wir müssen das Erreichte schützen und gleichzeitig nicht nur darauf ausruhen!
Auch wenn uns heute vielerlei Privilegien zugestanden werden, Dating mit sozialen Netzwerken oder zahlreichen Szenepartys möglich ist, wir ohne Aktivismus relativ unbeschwert leben können oder wir unsere Identität weitgehend selbstbestimmt nach außen tragen können, sind Diskriminierungen bis hin zu körperlicher Gewalt gegen queere Menschen – auch in Freiburg – keine Seltenheit. Besonders im Nachtleben.
Wir wähnen uns in einer trügerischen Sicherheit: Einerseits leben wir offen in unserer queeren Blase, werden aber unsichtbar und angreifbar, wenn wir sie verlassen. Schon ein Kuss am falschen Ort kann zu Anfeindungen oder mehr führen.
Also verkriechen wir uns nicht mehr Zuhause oder in unserer queeren Blase!
Lasst uns auf die Straßen gehen und uns zeigen.
Lasst uns laut und bunt sein.
[1] https://freiburg-pride.de/2017/06/30/eine-ehe-fuer-alle/; http://www.zeit.de/gesellschaft/familie/2018-01/bundesgerichtshof-transsexualitaet-elternrolle; https://www.lsvd.de/recht/ratgeber/umwandlung-in-ehen/adoption-und-oeffnung-der-ehe.html
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